Bildungsauftrag des Faches
Ausgangssituation
Die Ansprüche an den geographischen Raum haben in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung zugenommen u.a.
- in der vermehrten Mobilität
- in der weltweiten wechselseitigen Abhängigkeit der Staaten und Völker
- in der Brisanz der Entwicklungsproblematik für die Dritte Welt
- in der besonderen Situation Deutschlands im europäischen Zusammenhang
- in der Virulenz der Belastbarkeit von Landschaftsökosystemen
- in der Aktualität des sich schneller als erwartet entwickelnden Klimawandels
- in der Bereitschaft zur Kooperation in der Lokalen Agenda 21
Erwartungen an die Bildungspolitik
In der geographisch-geowissenschaftlichen Forschung rücken naturgeographische Fragestellungen schon seit den 80er Jahren wieder zunehmend in den Mittelpunkt. An vielen Universitäten ist mittlerweile die Geoökologie als eigene Subdisziplin der Geographie aufgrund der weltweit zunehmenden Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen etabliert. Diese Entwicklung darf an der Schulgeographie nicht vorbeigehen! Darüber hinaus muss die Schulgeographie das gesamte Spektrum der geowissenschaftlichen Disziplinen (Physische Geographie und Kulturgeographie) mitvertreten.
Wir erwarten, dass eine vorausschauende Bildungspolitik dem Selbstverständnis des Faches Geographie als einer Brücke zwischen Natur- und Geisteswissenschaften Rechnung trägt.
Derzeitige Defizite
Das Fach Geographie ist mit seinen Zielen und Inhalten in unserer Zeit, in der Kenntnisse und Einsichten über die komplexen Beziehungen zwischen Mensch und Raum nicht nur in regionaler, sondern besonders in globaler Sicht vermittelt werden müssen, im wahrsten Sinne des Wortes „notwendig“. Aus diesem Grund darf es in einzelnen Jahrgangsstufen keine Unterbrechung in der Kontinuität der geographischen Schulbildung geben, sondern es ist mindestens zweistündiger Unterricht in allen Jahrgangsstufen des Gymnasiums notwendig. Zudem wäre eine stärkere Förderung und Berücksichtigung der Inhalte der Wahlkurse „Geoökologie und Umweltschutz“ sowie „Geologie“ dringend notwendig.
Bezüglich des Unterrichtsfaches „Natur und Technik“ ist aufgrund der darin enthaltenen Lerninhalte unbedingt eine verbindliche Beteiligung des Faches Geographie vorzusehen!
Schritte zur Gegensteuerung
Eine Fächerverbindung Geographie + Naturwissenschaft(en) sollte daher künftig für das Lehramt am Gymnasium in Bayern besonders gefördert werden. Aufgrund der enormen Bedeutung, die fächerübergreifenden geoökologischen Fragestellungen und einer Erziehung im Sinne des Natur- und Umweltschutzes heute zukommt, sollten besonders die Fächerverbindungen Geographie + Chemie, Geographie + Biologie und Geographie + Biologie + Chemie wieder stärker berücksichtigt werden.
Die durchgehende Zweistündigkeit in allen Jahrgangsstufen 5 – 12 würde automatisch bislang existierende Defizite, z.B. bezüglich der Unterrichtsinhalte, verringern. Auch wäre endlich mehr Freiraum für die äußerst notwendigen Exkursionen und die äußerst wünschenswerte geographische Projektarbeit.
Der Bildungsauftrag des Faches Geographie
Kernbereiche geographischer Bildung sind:
- Vermittlung von räumlichen Orientierungswissen (z.B. Topographie, kategoriale Gliederung der Geosphäre)
- Vermittlung von geowissenschaftlichen Kenntnissen und Erkenntnissen (z.B. Aufbau und Geschichte der Erde, Kenntnisse über Wetter und Klima, geologische Grundkenntnisse, Meereskunde, Bodenkunde)
- Vermittlung von wirtschafts- und sozialgeographischen Kenntnissen und Erkenntnissen (z.B. Landnutzung, Industrie, Verkehr, Bevölkerung, Siedlung)
- Entwicklung von Verständnis für die Notwendigkeit internationaler Kooperation (z.B. Strukturen, Prozesse und Probleme in Regionen und Staaten, Länderkunde, Welthandel, globale Disparitäten)
- Entwicklung von sachkundigen Verhaltensweisen und Entwicklung einer Beurteilungsfähigkeit (z.B. geographische Fertigkeiten und Arbeitsweisen, Verständnis für Raumplanungsaufgaben und Umweltaufwendungen)
- Bereitschaft zur Kooperation und zum Erfahrungsaustausch mit anderen Fachdisziplinen, ganz besonders in den Bereichen der Geoökologie und des Umweltschutzes
- Entwicklung und Intesivierung geographischer Kompetenzen
- Nutzung der Vorteile der modernen Medien zur Erreichung der Unterrichtsziele
Kein anderes Fach beschäftigt sich in so vielfältiger Weise mit den großen Fragen, vor denen die Menschheit im 21. Jahrhundert steht:
- der Begrenztheit von Ressourcen angesichts einer rasch wachsenden Weltbevölkerung
- der immer stärker auseinander klaffenden wirtschaftlichen Entwicklung in wohlhabende Industrie- und arme Entwicklungsländer mit all den sich daraus ergebenden Folgen (etwa globale Wanderungsbewegungen, Kriegsgefahren u.Ä.)
- der weltweit, gerade aber auch in Deutschland, zunehmenden Umweltgefährdung und ihren Ursachen.
Im Zusammenhang mit der Allgemeinbildung sind wesentlich:
- die zum Denken in Systemen anleitende räumlich-integrative Betrachtungsweise
- die zu Methodenreflexion führende Methodenvielfalt
- die Repräsentanz der Wirtschafts- und Arbeitswelt
- die Möglichkeit der realen Anbahnung wichtiger Verhaltenseinstellungen wie Weltoffenheit, Kooperation, Sachbezogenheit und Toleranz
- der Aufbau eines geordneten Weltbildes durch den Lernbereich „Sich orientieren“
Umwelt- und Friedenserziehung
Moderner Geographieunterricht trägt zur Wahrung der Verantwortung für die natürliche Umwelt entscheidend bei. Über physiogeographische Inhalte vermittelt er Einsichten in die Naturausstattung der Erde und in die Gesetzmäßigkeiten naturgeographischer Vorgänge. Er macht junge Menschen in landschaftsökologischen Fragestellungen sachkundig und bewahrt sie davor, Fragen der Landschaftsgestaltung und des Umweltschutzes nur emotional oder gar irrational zu begegnen.
Zugleich leistet das Fach einen wesentlichen Beitrag zur Friedenserziehung, da die Erziehung zur Völkerverständigung nicht nur aus dem Verständnis der Geschichte zu sichern ist. Die Begegnung mit fremden Kulturen, Lebensformen und Weltanschauungen vermittelt Achtung, Toleranz, aber auch kritische Reflexion der eigenen Kultur und Nation. Die Beschäftigung mit den räumlichen Gegenwartsfragen unserer Welt fördert die Erkenntnis, dass unsere Zukunftsaufgaben im nationalstaatlichen Rahmen allein nicht mehr zu lösen sind.
Aufgabe des Geographielehrers
Aufgabe des Geographielehrers ist es, altersstufengemäß in die zahlreichen geographisch relevanten Problemkreise einzuführen, Zusammenhänge aufzuzeigen, die Rolle jedes Einzelnen darzulegen und kontroverse Positionen verständlich zu machen. Insofern trägt das Fach Geographie ganz erheblich dazu bei, das Demokratieverständnis bei den Schülern und Schülerinnen zu stärken: Sie lernen, nach welchen Spielregeln Entscheidungen zustande kommen, dass es häufig keine Patentrezepte für Problemlösungen gibt und dass das Engagement jedes Einzelnen Voraussetzung dafür ist, dass positive Entwicklungen in Gang kommen.
Volker Huntemann